Eine Einführung

 

       Seit dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts tauchen Träger des Namens Lauenstein (Lauwensteyn, Lauwenstein) im Gebiet des ehemaligen Fürstentums Hildesheim auf, und zwar ziemlich gleichzeitig in der Stadt Hildesheim selbst (1429)1) und in den nördlich von ihr gelegenen ländlichen Vogteien. Man kann sie in zunehmender Zahl der genannten Personen und zunehmender Dichte der genannten Orte von da ab dort verfolgen. Sie sind teils Bürger der Stadt Hildesheim, teils Bauern.

       Der Name Lauenstein, welcher nur einer Ortsbezeichnung entnommen sein kann, fällt unter den sonst in der dortigen Gegend geläufigen Familiennamen auf, weil diese überwie­gend aus Vornamen, beruflicher Tätigkeit oder Eigenschaften abgeleitet sind, und auch deshalb, weil es die Ortsbezeichnung, die er enthält, im Gebiete seines Vorkommens nicht gibt. Es lag auf der Hand, an das feste Schloss Lauenstein im Ith und den unter ihm gelegenen gleichnamigen Amtflecken anzuknüpfen; beide sind im Südzipfel des Bistums Hildesheim gelegen und politisch von ihm endgültig 1523 durch die Hildesheimer Stiftsfehde an das Herzogtum Calenberg abgetreten. Da nun die Hildesheimer Stiftsfehde, welche 1519 - 1523 Niedersachsen und namentlich das Gebiet des Stiftes aufs schwerste heimsuchte, 1518 zum Ausgangspunkt den Streit zwischen dem Bischof von Hildesheim und den von Saldern um den Pfandbesitz des Schlosses hatte, erklärt sich die Erzählung, dass die Familie wegen der Fehde Schutz in den Mauern der Stadt Hildesheim gesucht habe und dort verblieben sei. So schreibt auch Daniel Eberhard Baring (Beschreibung der Saale im Amte Lauenstein, Lemgo 1744): „Also ist eine berühmte Familie in Hildesheim genannt, deren ihr Stammvater vor 200 Jahren bei den damaligen Unruhen aus Lauenstein sich nach Hildesheim retirieret, und sich damals häuslich niedergelassen, welchen die Einwohner Hanß von Lauenstein genannt, sonst aber ist sein Geschlechtsname eigentlich Hanß Thiele gewesen.“ So ähnlich war es sonst auch in der Familie zu hören und so hat es auch Wilhelm Rothert (Hannoversche Männer und Frauen seit 1866, Hannover 1912) in seiner Lebensbeschreibung des Oberbürgermeisters Otto Lauenstein übernommen. Dass der Wunsch hohen Familienglanzes schließlich im Zeitalter Scheffelscher Romantik dazu führte, sich in Träumen ritterbürtiger Abstammung von Burgherren der Burg Lauenstein zu wiegen, ist eine so verständliche und auch bei anderen Familien so häufig zu beobachtende Erscheinung, dass sie hier wenigstens erwähnt werden sollte.

       Die Herkunft der Familie von diesem Ort Lauenstein lässt sich nicht urkundlich belegen, ebenso wenig eine solche von einem der anderen Orte oder Burgen gleichen Namens in Deutschland. Über eine Einwirkung der Hildesheimer Stiftsfehde auf die Schicksale der Familie lässt sich nichts sagen; die überlieferten Jahreszahlen sprechen gegen eine derartige Annahme. Die Stiftsfehde begann 1518/19, die ersten vier Träger des Namens Lauenstein finden sich aber schon 1429 - 1450 in der Stadt Hildesheim, zwei weitere 1450 in Landgemeinden des Stifts. In dem durch Bodengliederung oder Verwaltungseinteilung nach dem Amtflecken Lauenstein orientierten Gebiete aber, also etwa zwischen Ithgebirge, Haller und Leine, ist der Name der Familie niemals als bodenständig feststellbar.

       Man muss also bei der Forschung nach der Herkunft der Familie den Versuch einer Verknüpfung mit der Ortsbezeichnung Lauenstein mangels historischen Belegs einstweilen auf sich beruhen lassen, so ergeben andererseits die historischen Quellen seit mehr als 500 Jahren eine so enge Verknüpfung der Familie mit dem Gebiete von Hildesheim bis Peine, besonders, außer den Städten, mit den Vogteien Hohenhameln, Rosenthal und Peine (Amt Peine), dass man hier die Familie als bodenständig gewesen oder geworden ansehen muss. Erst von der Mitte des 18. Jahrhunderts an beginnt eine stärkere Ausbreitung auf das weitere Gebiet des Stiftes und das benachbarte Braunschweig - Lüneburg.

       Das hildesheimisch-peinische Gebiet liegt inmitten des ehemaligen Gaues Astfala. Dieser Gau bildete die Kernfläche des Bistums und späteren Fürstentums Hildesheim, im Süden umflossen von der Innerste.

       Zum Verständnis der nachstehend aufzuzeigenden Zusammenhänge muss hier heimat-geschichtlich noch etwas weiter ausgeholt werden, wobei möglichste Beschränkung geübt ist, um den Rahmen einer Einleitung zu einer familienkundlichen Stammliste nicht zu überschreiten.2)

       Die Bauern des Gaues Astfala haben es verstanden, von der sächsischen Urzeit her die Rechte des in Niedersachsen einst allgemein freien Bauernstandes bis in die neueste Geschichte zu wahren, d.h. also bis zu dem Zeitpunkt, in welchem diese Rechte ohnehin wieder allgemein wurden. Und nicht nur dies, die Bauern dieses Gaues, jedenfalls soweit sie zu den Malstätten (Freidingen) auf dem Hassel bei Lühnde bzw. Hohenhameln gehörten, haben darüber hinaus besondere Rechte gehabt, so hinsichtlich des Eigentums am Grund und Boden und seiner Übertragung, hinsichtlich der Freizügigkeit, der öffentlichen Abgaben, des Jagdrechts, der niederen - insbesondere der freiwilligen - Gerichtsbarkeit und endlich des Heeresdienstes, zu dem sie bis in die Zeit der stehenden Heere ihre eigene Mannschaft ausrüsteten und führten. Die Genossenschaft dieser “Freien“ führte auch ihr eigenes Wappen. Der älteste Abdruck als Gerichtssiegel im Staatsarchiv Hannover datiert von 1492. G. Weber nimmt es in seiner Arbeit über das “Große Freie“, eine Landschaft zwischen Hannover und Hildesheim, nur für dieses (späteres braunschw.-lüneburgisches Amt llten) in Anspruch. Wie aber Urkunden des Staatsarchivs Hannover ergeben, ist das Wappen auch im Gebiete des anschließenden Freiendings Hohenhameln (späteres hildesheimisches Amt Peine) angewandt worden.

       Ob und wieweit es ursprünglich den genossenschaftlichen Verbänden beider Freidinge gemeinsam war, wie überhaupt sich die Grenzen der Freidingsgerechtigkeiten zueinander verhielten und im Lauf der Jahrhunderte durch den gerade hier lebhaften Wechsel der Gebietsgrenzen verschoben, wird aus den vorhandenen Quellen nicht mehr deutlich festzustellen sein. Diese Feststellung hat schon zur Zeit der Freidinge Schwierigkeiten gehabt, weil der genossenschaftliche Verband sich nicht mit Ausschließlichkeit auf ein bestimmtes festumgrenztes Gebiet - etwa vergleichbar mit einem heutigen Amtsgerichtsbezirk - stützte, sondern nur die Höfe und Grundstücke der “Freien“ nach Herkommen umfasste. Neben diesen gab es in jedem Orte auch Höfe zu Meierrecht oder geringerem Recht, die natürlich auch ein “Freier“ innehaben konnte. Der Dinggreve Lauenstein des Freyendings zu Hohenhameln sagt z.B. in einem Bericht vom 15. Juni 1765 (Staatsarchiv Hannover, Hild. 1, Teil 23, 1. Abschnitt, Nr. 104) an den Oberdinggreven, den Bischof und Fürsten Friedrich Wilhelm in Hildesheim, “dass viele zum Ding gehörige im Braunschweigischen 3) und Lüneburgischen 4) wohnen “. - Das Wappen der Freien zeigt im roten Felde einen aufrecht nach links schreitenden goldenen Löwen, blaubezungt und blaubewehrt; Helmdecken rot-golden.

       Der eben erwähnte Dinggreve Lauenstein 5) sagt dort weiter über die Rechte der Freien “nichts altes ab“ und über ihre Pflichten “nichts neues zu“. Das ist ebenso heute noch überlieferungsmäßige Grundrichtung des Denkens niedersächsischer Bauern. Wer weiß, mit welcher Zähigkeit diese Bauern immer an Überlieferung, Recht und Scholle festgehalten haben, der wird die Wurzeln eines Geschlechts mit Recht da suchen dürfen, wo es ihm zuerst bodenständig auf breiter Front entgegentritt. Dazu berechtigt besonders ein so eigenartiges Gebiet wie das oben beschriebene. Die alte Zugehörigkeit der Familie zu diesem Gebiet darf aus folgendem besonderen Grunde auch aus ihrem Wappen geschlossen werden, welches im Schilde dem Wappen der Genossenschaft der “Freien“ entspricht. Es führen nämlich dies Wappen nicht die Lauensteins allein, sondern eine ganze Reihe von Familien des Freyendings Hohenhameln. Sie schneiden dabei zu beiden Seiten der Helmzier die Anfangsbuchstaben des Vornamens und des Familiennamens ein. Danach ist anzunehmen, dass sie durch dies gemeinsame Zeichen ihre Freidingszugehörigkeit zum Ausdruck bringen und festhalten wollen. Der älteste Siegelabdruck Lauenstein im Staatsarchiv Hannover (Akten betr. Lehne der Lauensteins, belegen in Soßmar unter Hohenhameln (Amt Peine), Hild. Des. 9 ( Lehns­akten ), III. Nr. 1, 1606 - 1790) stammt aus dem Jahre 1649 von Hans Lauenstein, Bürger in Hildesheim. Bei ihm erscheint der schreitende Löwe auch als Helmzier.

       Es war noch nicht möglich, den gemeinsamen Wurzeln oder der gegenseitigen Verbun­denheit aller Lauensteins nachzugehen, welche sich von etwa 1600 1720 außer in den Städten Hildesheim und Peine in den Orten Soßmar, Hohenhameln, Mehrum, Berkum, Bierbergen, Stederdorf, Sorsum, Bekum, Ohlum, Kl. Lopke, Adenstedt, Bledelum, Clauen, Handorf, Gadenstedt, Rosenthal, Kl. Solschen, Haimar, Harber und anderen im weiterem Umkreise finden. Aus den Quellen des Staatsarchivs Hannover und des städtischen Archivs Hildesheim schälen sich neben anderen drei Hauptstämme heraus, und zwar

1)      der Stamm Soßmar, beginnend mit Henke Lauenstein 1450, fortgesetzt mit Curt Lauenstein 1606,

2)      der Stamm Hildesheim, beginnend mit Barthold L. 1606,

3)      der Stamm Peine; dessen Stammliste allein wird hier gebracht

       Alle drei Stämme blühen noch heute. Der Stamm Soßmar ist durch die umfangreiche oben erwähnte Lehnsakte gut belegt Auch die in den Protokollen des Freyendings Hohenhameln von 1571 - 1588 (Staatsarchiv Hannover, Hild. 1, Teil 8, Abschnitt 4, Nr. 28) vorkommenden zehn männlichen und vier weiblichen Namensträger und weitere zahlreiche L‘s des Peineschen Dienstregisters de anno 1589 (Staatsarchiv Hannover, Hild. 1, 8. Teil, 4. Abschnitt, Nr. 41) dürften mehrfach zum Stamme Soßmar gehören. Er ist bis heute im Gebiete des Stiftes bodenständig geblieben. Curt (Stamm Soßmar) und Barthold (Stamm Hildesheim) heißen in einem Lehnbriefe von 1606 “Vettern“. Auch bei den späteren Lehenfolgen in Soßmar wird diese Zweit-Anwartschaft der stadthildesheimischen Linie Lauenstein stets zum Ausdruck gebracht. Sie haben also einen gemeinsamen Ursprung.

       Dieser Stamm Hildesheim hat den Pastor Joachim Barwardt (1698 - 1746) hervorgebracht, welcher mehrere Werke zur Geschichte und Beschreibung des Stifts Hildesheim schrieb 6). In seinem Testamente (Staatsarchiv Hannover, Hannov. Des. 27 A, L. 1106) bedachte er auch die Kirchen St Michaelis und St Jacobi in Hildesheim, an denen er im Amte gestanden und vermachte “der Ministerial- und Schulbibliothek 1000 seiner besten Bücher nach Wahl“. Ein Ölgemälde, welches ihn darstellt, hängt in der Jacobikirche. Eine Durch­sicht der Kirchenbücher der Stadt Hildesheim ergibt für das 18. Jahrhundert eine Ausbreitung des Namens L. in vielen Familien, die wohl teilweise verwandtschaftliche Beziehungen hatten. Auch die Schoßbücher der Stadt beweisen zwischen 1725 und 1750 jährlich sechs bis sieben L‘s als Steuerzahler 7). Die Neubürgerkartei verzeichnet L‘s seit 1464.

       D e r  S t a m m  P e i n e tritt im Kirchenbuch Peine 1644 zuerst auf. Die Aussichten auf eine Erweiterung und Ergänzung des Materials über den Ursprung dieses Stammes sind wenig günstig, weil Archivalien in Peine fehlen. Als Festung des Stifts Hildesheim wurde Peine in mehrfachen Kriegswirren verwüstet und abgebrannt, so besonders 1519 - 1521. Zu einer der vorerwähnten stadthildesheimischen Familien scheint Verwandtschaft zu führen, denn 1739 tritt Carl Heinrich (11) als Pate in der Familie des Meisters Arend L. in Hildesheim auf.

       Von dem Hauptstamm Peine schlossen sich die Nachkommen des Superintendenten Johann-Diedrich Lauenstein (16) in Börry (1738 - 1797) im Jahre 1892 in Göttingen zum Lauensteinschen Familienverband zusammen; eine Familienstiftung wurde errichtet Alle drei Jahre findet seitdem ein Familientag statt, und zwar nach bisheriger Übung in den Orten Hildesheim, Hannover, Lüneburg, Göttingen oder Lauenstein. Seit 1911 wird auch ein Nachrichtenblatt nach Bedarf gedruckt. 1929 wurde der Verband auf die Nachkommen des Johann Anton Lauenstein-Celle (15) (* 1736) ausgedehnt.

       Das 1892 festgestellte W a p p e n übernahm den in verschiedenen Linien der Familie überkommenen Löwen, den der Geschmack einzelner Familienmitglieder mit verschiedenen Attributen willkürlich verziert hatte. Vom oben erwähnten Löwen im Wappen der Freien war damals nichts bekannt. Man machte, damaliger Mode folgend, das Wappen “redend“, indem man zunächst Lawenstein etymologisch falsch wie Löwenstein behandelte und gab dem so neu geborenen Löwen einen “Stein“ (Felsblock) in die Pranken. Da dieser Stein von einem Siegelschneider erkennbar nicht geschnitten werden kann, hat der Generalleutnant Otto Lauenstein (146) bei seiner Erhebung in den erblichen preußischen Adelsstand 1908 diesen Felsblock in seinem Wappen zu einem Quaderstein gemacht Der Stein im Wappen ist eine überlieferungswidrige freie Erfindung.

       Die Familie ist evangelisch-lutherisch. Es ist deshalb in der Stammliste nur dann auf das Bekenntnis verwiesen, wenn es hiervon abweicht.

 

1)      Vgl. Doebner, Urkundenbuch der Stadt Hildesheim

2)      Vgl. im übrigen: Lünzel, Die ältere Diözese Hildesheim;

         G. Weber, Die Freien bei Hannover;

         0. Heise, Die Freien im hannov. Amt Ilten (Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen 1856, 2. Doppelheft, 5. 8);

         Engelke, Die Große und Kleine Grafschaft der Grafen von Lauenrode (Hannover­sche Geschichtsblätter 1921 Bd. 24).

3)      z.B. Bodenstedt, Amt Wolfenbüttel.

4)      z.B. im Gericht Lühnde.

5)      Stamm Soßmar

6)      1. Historia diplomatica episcopatus Hildesiensis, Hildesheim 1740-41. 2. Hildesheimische Kirchen- und Reformationshistorie, 12 Tle., Hildesheim usw., 1743-46. -3. Entwurf gegen­wärtigen Civil- und Kirchenstaates vom Bistum Hildesheim, Braunschweig 1736. -4. Descriptio dioecesis Hildesheimensis per antiquos suos pagos. Hildesheim 1745

7)            Vgl. auch 1. Brandes, Diarium, 5. 45, 99, 306 ff